neben der fehlenden medizinischen Kenntnis (auch von unserer Seite) in der nicht ausreichenden medizinischen Ausstattung der Organisation. Häufig konnten Wunden nur desinfiziert und verbunden werden, ein Junge mit Zahnschmerzen wurde beispielsweise nur mit einer Schmerztablette behandelt.
Ein anderer wichtiger Teil unserer Arbeit bestand in der Beschäftigung mit den Kindern. Da diese ohne ihre Eltern aufwachsen, suchen sie Bezugspersonen, denen sie vertrauen können. Viele der Kinder haben eine ausgeprägte Beziehung zu den Mitarbeitern der Organisation. Wir haben erlebt, wie offen diese Kinder auch uns gegenüber waren. Nach einer anfänglichen Schüchternheit wurden wir später jubelnd begrüßt und umarmt. Unsere senegalesischen Namen, die uns von der Organisation gegeben wurden, haben sicherlich auch dazu beigetragen, dass wir ab der zweiten Woche von allen Kindern mit unseren neuen Namen angesprochen wurden. Anfangs waren wir nur die "Toubabs", also die "weißen Menschen", was sich aber schnell änderte, und wir wurden mit unseren „neuen Namen“ angesprochen.
Mit Hilfe eines Mannes des örtlichen Fußballvereines haben wir jede Woche ein Fußballturnier organisiert. Bei den Spielen sind acht Mannschaften angetreten, u.a. auch eine Talibémannschaft, also eine Mannschaft mit Kindern aus den verschiedenen Daaras der Stadt. Diese Turniere waren nicht nur bei den spielenden Kindern, sondern auch bei den Zuschauern, sehr beliebt.
Dabei hat man den fehlenden Kontakt der Kinder zu ihren Eltern besonders gespürt. Während des Zuschauens haben viele Kinder den Körperkontakt gesucht, in dem die Kleineren sich auf unseren Schoß setzten oder in den Arm genommen werden wollten…
…eine Aufgabe für uns bestand in der Zubereitung und der Verteilung von Frühstück. Morgens haben wir Baguettes, Belag und Milchpulver gekauft, und die beschmierten Brote und Milch in den verschiedenen Daaras an die Kinder verteilt. Außerdem haben einige Kinder aus anderen Daras, zu denen wir nicht gehen konnten, am Haus der Organisation ein Frühstück bekommen.
…leider wurde unsere Erwartung, selbst unterrichten zu können, nicht erfüllt. Dies liegt zum einen an dem straffen Tageszeitplan der Kinder. Durch das Koranlernen, das Erbetteln von Geld und Nahrung, bleibt ohnehin kaum Zeit zum Spielen oder für andere Aktivitäten. Auch war die Verständigung ziemlich schwer ein „guter Unterricht“ wäre wohl kaum möglich gewesen.
Ein großes Problem besteht darin, dass die Organisation noch kein eigenes Gebäude hat, wo die Kinder ohne „Aufsicht der Marabouts“ spielen und lernen könnten. Gäbe es ein Gebäude könnte es ein mittelfristiges Ziel sein, dass die Kinder einen Tag in der Woche von den Aufgaben des Marabouts frei bekommen. Diesen Tag sollen sie in dem Haus der Organisation verbringen können, wo sie Lernen und Spielen könnten. Bis die Marabouts solch einem Plan allerdings zustimmen, ist es noch ein langer Weg, da sie finanzielle Einbußen erleiden würden. Ein weiterer Hinderungsgrund ist die in den Augen der Marabouts unwichtige Bildung im Bereich Französisch und Mathematik. Die Marabouts wünschen lediglich eine Bildung bezogen auf den Koran...
…viele Kinder leben seit ihrem fünften Lebensjahr beim Marabout und lernen ausschließlich den Koran. Nach und nach verinnerlichen die Kinder die Meinung des Marabouts und werden oftmals selbst Befürworter dieses Systems, da es kaum Personen gibt, die das System kritisch hinterfragen oder Alternativen anbieten. Wenn die Marabouts weiterhin eine solche Rückendeckung, auch in der Bevölkerung, haben, wird es nicht so ohne weiteres möglich sein etwas an diesem System zu ändern.
Selbst in der Organisation sind sich die Mitglieder letztendlich nicht einig, in wie weit das gesamte System verändert werden muss. Es stellt sich auch dort die Frage ob es reicht, nur die aktuelle Situation der Kinder zu verbessern.

 

2.)

Erwartungen
Nach etlichen Hin- und Herüberlegungen und Abwägen der Pros und Contras, entschloss ich mich also doch die Reise anzutreten und mich auf dieses kleine Abenteuer einzulassen und freute mich darauf die Kinder und ihre Lebenswelt kennenzulernen, ihnen zu helfen und ihnen vielleicht sogar etwas Freude zu bereiten. Außer mir erklärten sich noch vier weitere Studenten bereit die Organisation tatkräftig zu unterstützen, zwei davon aus Frankfurt, zwei aus Marburg, alle aus pädagogischen Fachbereichen. Wir entschieden drei Wochen in der Organisation mitzuarbeiten und während der vierten Woche das Land zu bereisen. Finanziell unterstützt wurde das Vorhaben durch die Organisation „Pro International“, sie übernahm einen großen Teil der Flugkosten, wofür ich sehr dankbar bin, denn ohne sie wäre es mir finanziell vermutlich nicht möglich gewesen.
Vor der Reise fanden einige Besprechungen in Marburg, zuhause bei Herrn Bernhardt, statt. Anwesend waren dabei abwechselnd ein Vertreter von „Pro International“, Mitglieder des „Senegal Vereins Marburg“, der in Kooperation mit der Organisation in St. Louis arbeitet und sie unterstützt, sowie Herr Bernhardt und seine Frau, die selbst bereits vor Ort gewesen sind, um die Organisation kennenzulernen. Während der Treffen wurden diverse organisatorische Punkte besprochen, wie z. B. die Finanzierung, unsere Unterbringung dort, Verantwortliche der Organisation, unsere Verpflegung dort, die medizinische Vorsorge vor dem Reiseantritt, auf welche Bedingungen wir uns vorab einstellen müssen, worin unsere Aufgaben bestehen werden und welche Dinge sinnvoll sind mitzubringen,
Festgehalten wurde, dass wir in St. Louis bei einem der Mitglieder der Organisation, Daouda Diagne, wohnen sollten. Bei ihm sollten wir auch unsere tägliche Verpflegung morgens und abends erhalten, mittags hieß es, sollen wir uns selbst versorgen. Vor unserer Reise musste ich mich gegen Hepatitis A und B, sowie gegen Gelbfieber impfen lassen und mir zur Prophylaxe Malarone besorgen, um der Ansteckung mit Malaria vorzubeugen. Ein Moskitonetz, um uns beim Schlafen vor Mückenstichen und einer eventuellen Übertragung des Virus schützen zu können, haben wir von einem Marburger Medizinstudenten erhalten, der ebenfalls bei einem der Treffen anwesend war. Auch dafür war und bin ich sehr dankbar. Unsere Aufgaben sollten darin bestehen, die Kinder zum einen in Mathe und Französisch zu unterrichten und zum anderen ihre Freizeit mitzugestalten, durch Malen, Spielen, Fußball etc. Dass wir den Kindern ab und zu auch eine ordentliche Verpflegung ermöglichen, war auch vorgesehen. Diejenigen, die das Projekt bereits selbst unterstützt hatten, klärten uns über die schlechten Bedingungen innerhalb des Fischerdorfes in St. Louis, vor allem in den Daraas, in denen die Straßenkinder leben, auf. Des Weiteren besprachen wir, welche Dinge sinnvoll wären mitzunehmen. Genug Platz würden wir haben, denn jeder von uns durfte zwei Koffer à 23 kg auf dem Flug mitnehmen. Es wurde organisiert, dass wir einiges an medizinischen Utensilien, Kleidung und Schulmaterial wie Stifte, Hefte und ähnliches mitnehmen konnten. Schuhe mitzunehmen, so entschieden wir, wäre wenig sinnvoll, da die Gefahr bestand, dass der Marabou, der Mann der die Kinder in der Koranlehre unterrichtet und für sie verantwortlich ist, ihnen die Schuhe abnehmen würde, um sie zu verkaufen. Außerdem war es unwahrscheinlich, dass wir so viele Schuhe erhalten würden, um allen Kindern welche geben zu können. Das wäre ungerecht.
Ich machte mir viele Gedanken dazu, was ich den Kindern mitbringen könnte und zog schließlich mit meinem Papa los und kaufte sämtliche kleine Hefte, kariert, liniert und blank, Buntstifte, denn Filzstifte trocknen zu leicht aus, ein paar Spitzer und farbige Wolle, aus der ich plante kleine Bändchen für die Kinder zu flechten, damit sie zum einen ein kleines Andenken an uns haben und zum anderen etwas besitzen was nur ihnen gehört.
Das Thema Sprache bereitete mir große Bedenken. Ich nahm mir vor, vor der Abreise ordentlich Vokabeln zu pauken und übte sogar einige Male mit einer Arbeitskollegin, die Französin ist, auf Französisch Konversation. Ich dachte mir: Flüssig sprechen ist was anderes. Damit einher gingen auch die Gedanken über die Gestaltung des Unterrichts, den ich auch leiten sollte. Aus diesem Grund war ich sehr aufgeregt, denn ich machte mir Sorgen die Kinder würden mich nicht verstehen und würden deshalb auch nichts von mir lernen können.
Alles in allem, war ich generell aufgeregt, machte mir viele Gedanken über dieses und jenes, ob was ich mache falsch oder richtig sein wird und wie die Reaktion der Kinder auf uns sein wird. Ich hatte auch ein bisschen Angst davor, dass die Kinder den Eindruck bekommen würden, ganz salopp ausgedrückt: Wir sind hier jetzt die Weißen, die kommen um euch mal ein bisschen zu helfen, weil ihr ganz schön arm dran seid. Das wollte ich auf keinen Fall und ich war froh, als diese Angst sich letzten Endes nicht bestätigte.

Der typische Tagesablauf für die Talibés sieht folgendermaßen aus:
1. Vor Sonnenaufgang zum Ruf des Muezzins gen Mekka beten.
2. Danach wird eventuell noch etwas geschlafen, ansonsten wird bei Aufgehen der Sonne durch Anleitung des Marabous die Koranlehre begonnen. Vor Aufgehen der Sonne wäre dies nicht möglich, denn ohne Sonne kein Licht, denn es ist kein Strom vorhanden um sich mit elektrischem Licht zu versorgen. Dass die Kinder Schläge aufgrund von Versprechern o. ä. von den Marabous erhalten ist keine Seltenheit.
3. Zur Mittagszeit werden die Kinder, ausgestattet mit Plastikschalen oder leeren Konservendosen, zum Betteln geschickt. Es ist wichtig, dass sie genug erbetteln, denn 1. könnten ihnen ansonsten Schläge oder sonstige Züchtigungen vom Marabou drohen und 2. laufen sie Gefahr hungrig bleiben zu müssen. Reis oder ähnliches müssen sie an den Marabou abgeben, welcher diesen dann auf dem Markt verkauft. Wird den Kindern mal ein Stück Baguette, ein Apfel oder ähnliches gegeben, dürfen sie diesen selbst essen, denn dies lässt sich nicht gut lagern, dementsprechend kann der Marabou sie nicht gut verkaufen.
4. Gegen Nachmittag müssen die Kinder in die Daraas zurückkehren um ihr Erbetteltes abzugeben, daraufhin wird weiter der Koran auswendig gelernt. Das Erlernen der arabischen Sprache selbst steht nicht im Vordergrund, es geht einzig und allein um das Rezitieren nach Vorgabe der Schrift. Was schade ist, denn Arabisch zu beherrschen wäre in vielerlei Hinsicht eine Bereicherung für die Kinder. Grundsätzlich spricht der Marabou mit den Kindern im Alltag Wolof, es wird ihnen also auch kein Französisch beigebracht.
5. Wenn die Kinder Glück haben und der Marabou wenig streng ist, dürfen die Kinder sich zwischen Abgabe ihres Erbettelten und der anschließenden Koranlehre und der Rückkehr zum Schlafen, über ihre Zeit frei verfügen. Nach meiner Einschätzung war das in allen Daraas die wir kannten der Fall, allerdings ist es schwer dies zu überprüfen, da es mir schwer fiel einzuschätzen wann welches Kind anwesend war. Außerdem gibt es weit mehr Daraas, als wir kennenlernen durften. Wie viele Kinder insgesamt in den Daraas leben, kann ich nicht mal für die Handvoll die wir versorgt haben genau sagen Die Anzahl der Kinder schwankte teilweise tagesabhängig erheblich und wir waren nicht jeden Tag, in jedem Daraa. Durchschnittlich schätze ich die Zahl der Kinder auf ca. 30 pro Daraa.
Daouda ist nach unserer Einschätzung der eigentliche Leiter und die treibende Kraft der Organisation ist. Er ist am aktivsten von allen Mitarbeitenden der Organisation, steht mit den Kindern in engem Kontakt und man merkt, dass er mit Herz und Blut bei der Sache ist. Wenn er sich in der Nachbarschaft bewegt wird er direkt von unzähligen Kindern umzingelt, die sich freuen ihn zu sehen. Das habe ich bei keinem anderen Mitglied der Organisation beobachten können. Unterstützt wird er während unseres Aufenthalts von mehreren Männern: Dudu, Papis und Cyrin sowie Amadu, der sehr engagiert ist. Lony, eine Französin ist bereits zum zweiten Mal hierher gereist und unterstützt die Organisation tatkräftig. Das selbst gesetzte Ziel der Organisation ist die Lebenssituation der Kinder auf verschiedenen Ebenen zu verbessern. So werden die Kinder je nach Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln z. B. mit Nahrung versorgt. Während unseres Aufenthalts bestand dies aus mit Schokoladencrème bestrichenem Baguette, je ein Drittel pro Kind, und einem Becher Instant-Milch, da normale Milch viel zu teuer wäre. Sie versorgen die Wunden der Kinder medizinisch, versuchen bei Krankheit zu helfen, ermöglichen den Kindern eine sichere Anlaufstelle mitten in ihrer Nachbarschaft und organisieren Freizeitaktivitäten z. B. in Form von Fußballturnieren. Zukünftiges Ziel soll sein, ein bereits bestehendes Gebäude zu überdachen, um dort Unterricht abhalten zu können, damit die Kinder zumindest eine Basis an Bildung erhalten, da die Marabous es den Kindern nicht gestatten zusätzlich zur Koranlehre eine staatliche Schule zu besuchen, selbst wenn es sich zeitlich organisieren ließe. Von Zeit zu Zeit erhalten die Kinder von der Organisation auch neue Kleidung, je nach Verfügbarkeit von Spenden und abhängig davon, ob sich die von der vorherigen Bekleidungsaktion gewechselte Kleidung wiederverwenden lässt. Einiges wird gewaschen, anderes muss weggeworfen werden, weil die Kleidung schlicht zu schmutzig ist. Eine Waschmaschine besitzt die Organisation nicht und teilweise sind die Kleidungsstücke so verschmutzt, dass sie per Handwäsche nicht wirklich sauber werden würden, teilweise lässt sich der Zustand der Kleidung auch durch nähen nicht verbessern, auch in diesem Fall wird wie weggeworfen oder als Putzlumpen weiter verwendet. Bei diesen Bekleidungsaktionen werden die Kinder auch gewaschen und können sich eventuell die Zähne putzen. Eine Dusche gibt es in keinem der Daraas und Zahnbürsten besitzen die Kinder nicht. Ich sehe es als wichtig an, dass das Haus der Organisation, wenn auch klein, direkt in der Nachbarschaft der Daraas liegt, es stellt eine sichere Anlaufstelle für die Kinder dar, denn sie wissen dort sind Menschen die ihnen im Zweifel helfen können, sie müssen dort nicht mit Schlägen rechnen, können malen und schreiben und vielleicht treffen sie dort sogar jemanden an, der Zeit hat mit ihnen Fußball oder etwas anderes zu spielen. Trotz der räumlichen Verhältnisse kann das Haus auch eine Art Rückzugsort sein, denn den haben die Kinder in den Daraas nicht, ihre Schlaf- und Wohnsituation ist unheimlich beengt.
Wichtig zu erwähnen ist, dass die Organisation keine Aufklärungsarbeit in dem Sinne betreibt, denn das Prinzip der Daraas und der Lehre des Korans durch den Marabou sind tief in der senegalesischen Kultur verankert und die meisten Senegalesen sehen keinen Bedarf etwas daran zu ändern. Von einem der Organisationsmitglieder haben wir erfahren, dass er seinen ehemaligen Marabou regelrecht verehrt und heute (noch) ein gutes Verhältnis zu ihm hat. Ob es sich dabei um einen Ausnahmefall handelt ist für mich nicht ersichtlich, auch nicht, ob es sich in diesem Fall um einen Marabou handelt der „seinen“ Kindern besonders milde gestimmt war und sich gut um sie gekümmert und sie nicht geschlagen hat. Grundsätzlich unterscheidet sich Erziehung im Senegal ganz erheblich von der Kindeserziehung in Deutschland. Schlagen ist eine weit verbreitete Maßnahme, also wird trotz oder gerade aufgrund eigener Traumatisierungen womöglich nichts Schlimmes daran gesehen. Leichte Klapse auf den Hinterkopf o. ä. habe ich allerdings auch innerhalb der Organisation beobachten können. Zwar wäre auch das in Deutschland z. B. in einem Hort nicht vorstellbar oder akzeptabel, aber ich denke muss man dies in Relation zu den gegebenen Verhältnissen sehen. Wenn solch eine Handlung zwischen einem Mitglied der Organisation und einem der Kinder vorkam, dann war das, nach meiner Einschätzung, eher eine liebevoll gemeinte Neckerei, vielleicht auch eine Form der Zuneigung und des Körperkontakts, den die Kinder in Anbetracht ihres Umfeldes nicht als Verletzung oder Demütigung empfinden. Allein untereinander sind die Kinder schlimmeres gewohnt, auch deshalb vermute ich,  haben sie es in solchen Fällen eher als eine Form der Zuwendung erlebt,

 

Typischer Tagesablauf
Tag 20:
Morgens gehen wir zum ersten Mal alleine Frühstück für die Kinder kaufen. Der Einkauf besteht aus Schokoladencrème, Baguette, Zucker und Milchpulver. Kohle ist von unserem letzten Einkauf noch im Haus vorhanden. Wir entscheiden uns heute für eine andere Schokoladencrème, weil die die wir ansonsten verwendet haben, sich überhaupt nicht gut verstreichen lässt und zusätzlich auch nicht sehr gut schmeckt, irgendwie sandig. Als wir noch im Fischerdorf versuchen ein Taxi zu bekommen, versucht ein kleiner Junge ganz klammheimlich in Nicoles Tasche zu greifen. Ich sehe es und gebe ihm einen Klaps auf die Hand. Danach versuche ich ihn mit weiteren Handbewegungen zu verscheuchen. Ich finde es unheimlich frech und wünsche mir ich könnte ihm das mit mehr Nachdruck verbal verständlich machen. Ich greife auf Deutsch zurück und denke, dass man das aufgrund der Tonlage und der Härte der Aussprache sicherlich auf jeder Sprache versteht, dass ich das nicht in Ordnung finde. Ich ärgere mich maßlos.
Zurück im Haus der Association bereiten wir alles vor, schneiden die Baguettes auf, bestreichen sie und zerteilen sie in Drittel. Papis kocht in einem großen Kessel die Instant-Milch auf. Im Anschluss verteilen Fabien und ich, gemeinsam mit Daouda und Amadu, vor dem Haus die Brote und die Becher Milch. Die anderen gehen mit Lony durch die Daraas und verteilen dort die von uns zubereiteten Leckereien. Nachdem alles verteilt wurde fange ich an aus meiner mitgebrachten Wolle Armbändchen zu flechten, später helfen auch Nicole und Lukas B. Ich bekomme sogar die Möglichkeit einem der Jungen das Flechten etwas beizubringen und finde, dass er das sogar sehr gut macht, dafür, dass er das wahrscheinlich zum ersten Mal ausprobieren kann. Auch wenn er noch einige Fehler macht, kann ich erkennen, dass es ihm Spaß bereitet, denn er kommt nachher wieder um mir weiterzuhelfen. Das Armband das er geflochten hat gebe ich ihm direkt mit. Er freut sich. Als ich mein erstes Bändchen fertiggestellt habe gebe ich es Aleg, dem Jungen den wir alle am liebsten mitnehmen würden. Ich hoffe, dass er sich freut und meine auch, dass dem so ist. Ich würde ihm am liebsten sagen, dass ihn das daran erinnern soll, dass er nicht alleine auf der Welt ist und es ihm Kraft geben soll, wenn mal schwierige Zeiten kommen, aber leider kann ich kein Wolof und er ist schneller wieder weg, als ich gucken kann und so kann ich auch niemanden darum bitten für mich zu übersetzen.
…dann die Pirogge zurück ins Fischerdorf zu nehmen, um beim Fußballturnier der Nachbarschaftskinder gegen die Talibés zuzuschauen. Während des Turniers arbeite ich weiterhin an den Armbändern und viele Kinder fragen mich, ob sie eines haben dürfen, mal freundlich, mal weniger freundlich. Ich verbleibe erstmal dabei ihnen zu sagen, dass sie für die Talibés sind. Später sehe ich, dass einer der Jungen, der vor mir sitzt friert, weil er nur spärlich bekleidet ist, deshalb gebe ich ihm meine Jacke. Sofort fangen auch die anderen an zu sagen ihnen sei kalt. Einer der Jungen fragt Lukas B. bestimmt dreimal, bevor er seine Versuche einstellt, weil Lukas B. selbst auch gar keine Jacke dabei hat die er ihm geben könnte. Ich bin verunsichert. Hätte ich ihm lieber nicht meine Jacke geben sollen, wenn ich von vornherein wusste, dass ich nicht allen eine geben kann? Überhaupt ist die Atmosphäre beim Fußballturnier häufig angespannt, weil viele Kinder etwas von uns wollen uns wir ihnen nichts geben (können oder wollen). Es gibt allerdings auch sehr schöne Momente. Zwei der Jungen hängen bspw. die ganze Zeit an Lukas B. und der eine verteidigt ihn sogar, als ein Mädchen ständig seine Haare anfasst und daran zieht. Einer der Jungen geht mir unglaublich auf die Nerven, weil er mich immer wieder anfasst und versucht mich zu provozieren. Ich sage ihm mehrmals er soll aufhören, als Reaktion lacht er nur. Die anderen Jungen empfehlen mir ihn zu schlagen, damit er aufhört, aber ich sage ihnen, dass ich das nicht tun werde, weil ich finde, dass das nicht nett ist. Irgendwann gibt er endlich Ruhe und macht sich dann sogar Platz um sich neben mich zu setzen, ja sich im Grunde genommen an mich zu kuscheln.

 

Beobachtung
Eine unserer Aufgaben bestand wie angesprochen in der Wundversorgung, wobei die häufigsten Verletzungen kleinere und größere Schnittwunden, die meist an den Füßen zu finden waren. Das lag daran, dass die Kinder keine Schuhe besaßen und sich beim Laufen im Sand, Gehwege gibt es wenige, verletzten, weil sich in ihm viel Müll befand, darunter scharfe Metallgegenstände und Scherben. Einige Verletzungen stammten wohl auch von den Bestrafungen durch den Marabou oder auch von Rangeleien unter den Kindern selbst. Nicht immer war es mir jedoch ersichtlich woher die Verletzungen stammen. Mir ist aufgefallen, dass viele Kinder an einigen Stellen am Körper kleine runde Wunden hatten. Meine Vermutung ist, dass diese auf eine pockenartige Krankheit zurückzuführen sind, bei er es aufgrund der beengten Wohn- und Schlafverhältnisse dazu kommt, dass die Kinder sich gegenseitig immer wieder damit anstecken. Die hygienischen Bedingungen sind grundsätzlich schlecht und das Leben auf engstem Raum tut sein weiteres. In den ersten Tagen unseres Aufenthalts habe ich mich deutlich zurückgehalten die Wunden der Kinder zu versorgen. Stattdessen habe ich Daouda dabei beobachtet. Mir fiel es schwer gezielt Fragen zur Behandlung zu stellen, weil meine Sprachkenntnisse einfach nicht ausreichend waren und mir Fachbegriffe fehlten. So blieb mir und auch den anderen zunächst nur das Zugucken, um zu versuchen zu verstehen welche Maßnahmen wann ergriffen werden müssen. Meist bestand sie aber darin, dass Daouda sich die Wunde anschaute, um sie dann zu desinfizieren, mit Watte etwas sauber zu reiben und noch einmal zu desinfizieren, gegebenenfalls wurde die Wunde danach verbunden oder ein Pflaster aufgeklebt. Es gab aber auch Fälle bei denen Daouda sofort erkannte, dass die Wunde entzündet war, dann drückte er zwischen seinen Fingern den Eiter aus der Wunde heraus, bis etwas Blut zum Vorschein kam Daraufhin desinfizierte und verband er sie, um einer Verschmutzung und somit auch einer Infektion vorzubeugen. Häufig ist mir aufgefallen, dass bei gewissen Wunden, bei denen sich bereits Schorf gebildet hatte, ein Zeichen von Heilung, der Schorf von einem der Mitarbeiter der Organisation herunter gekratzt wurde, um dann die Wunde zu desinfizieren, eventuell etwas Salbe aufzutragen, die die Heilung unterstützen sollte, und im Anschluss zu verbinden. Ich und auch die anderen fragten uns in diesen Fällen wie sinnvoll dieses Vorgehen ist. Und weiter, ob es nicht hilfreicher wäre, man hätte Medizinstudenten hierher geschickt, statt Pädagogen. Abgesehen von unserer eigenen Lebenserfahrung und einem Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein hatten wir schließlich keine Ahnung wie eine adäquate Wunderversorgung auszusehen hat. Was uns zu dem Schluss kommen ließ, dass es den Mitgliedern der Organisation wahrscheinlich ähnlich ging.
Ausgestattet ist die Organisation mit zwei kleinen Taschen, darin enthalten sind Pflaster verschiedener Größen, wobei eigentlich nur die großen benötigt werden, Hansaplast, Verbandtuch, lose Watte, Desinfektionsmittel und einer Wundheilsalbe. Eine Schere, sowie Einweg-Handschuhe sind auch vorhanden.
Alles in allem ist die Ausstattung erkennbar spärlich und das medizinische Wissen nach meiner Einschätzung nicht ausreichend. Es muss mit allem sehr sparsam umgegangen werden, denn viel Geld hat die Organisation nicht, um sich laufend neu mit allem Nötigen einzudecken. Aus diesem Grund sind wir froh, dass wir mit den Utensilien die wir mitgebracht haben, zumindest einen kleinen Teil beitragen konnten um die medizinische Versorgung zu verbessern. Ein kleines Ärgernis bleibt, weil ich mir denke, man hätte noch so viel mehr mitbringen können oder zumindest mehr von den richtigen Sachen. Pflaster z. B. werden meiner Meinung nach weniger benötigt, denn die Verletzungen befinden sich, wie bereits erwähnt, meist an den Füßen. Durch das Laufen im Sand fallen diese aber nach kürzester Zeit wieder ab, ein Verband hält deutlich länger. Nichtsdestotrotz sehe ich das Versorgen der Wunden als sinnvoll, denn hierbei werden die Kinder mit ihren Schmerzen und Verletzungen wahrgenommen, es wird ihnen vermittelt: Du hast Schmerzen, die sehe ich und dich sehe ich und ich bin hier, um dir zu helfen, damit es dir wieder besser geht. Körperliche Nähe spielt meines Erachtens dabei auch eine große Rolle. Es hat mich jedes Mal mit Freude erfüllt, zu sehen wie die Kinder sich auf eine gewisse Weise darauf gefreut haben ihre Wunden zu präsentieren. Oft habe ich beobachten können wie ein Kind mit der kleinsten Wunde, die eigentlich schon längst verheilt war, trotzdem versucht hat von Daouda versorgt zu werden. Mit einem Tätscheln auf den Hinterkopf und einem Lachen schickte er sie dann wieder weg. Das Kind hat dann auch gelacht und versucht vielleicht doch noch den Ernst der Lage darzustellen, um eine „Behandlung“ zu erreichen, aber im Grunde genommen wusste es jedes Mal, dass es nichts bringt, zog sich im Anschluss mit einem verschmitzten Lächeln zurück an seinen Platz, um weiter den Koran auswendig zu lernen. Einen Versuch war es immerhin wert.
In den meisten Fällen besuchten wir die Daraas für die Wundversorgung morgens, bevor die Kinder zum Betteln geschickt wurden. Wenn wir ankamen wurde zunächst der Marabou begrüßt, dann legte man uns eine Matte aus. Der reguläre „Betrieb“ des Koranlesens wurde nicht für uns unterbrochen. Einzelne Kinder durften dann nacheinander das Lesen unterbrechen, um sich von uns versorgen zu lassen. Während den ersten Tagen habe ich nur zugeschaut, in den folgenden Tagen, als ich endlich den Mut aufgebracht hatte, wurde ich dafür umso aktiver. Es ist nur eine Vermutung von mir, aber ich denke es ging den anderen ähnlich wie mir, dass wir zeigen wollten: wir wollen und wir können helfen! Es war mir wichtig mich in der Hinsicht zu beweisen und dafür zu sorgen, dass ich nach meinem Aufenthalt sagen kann: Ich habe einen Unterschied bewirkt, egal wie klein dieser ausgefallen sein mag. Es hat mir sogar richtig Spaß gemacht, denn nicht nur fühlte ich mich gebraucht, sondern es gefiel mir endlich etwas näheren Kontakt zu den Kindern zu bekommen. Ich bekam die Möglichkeit mich irgendwie mit meinem spärlichen Wolof-Vokabular und den paar Worten Französisch die die Kinder beherrschten, mit ihnen zu verständigen und es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass es einem anderen Menschen durch mich besser geht als vorher. Ich bewunderte die Kinder sehr dafür, dass sie auch während offenbar schmerzhaften Prozeduren, wie z. B. dem Aufsprühen des Desinfektionsmittels oder dem Abziehen des Schorfs einer Wunde, keine Miene verzogen. Nur in Einzelfällen war ein Streicheln des Armes, Kopfes oder Fußes erforderlich, um zu beruhigen.